Projekte 2009

Das Museum ein Bienenkorb

Auf dem Dach des Museums für Moderne Kunst betreibt die Stadtimkerei seit Mai 2008 ein Bienenstand mit zehn Völkern. So lange der Vorrat reicht können dann die Museumsbesucher nach der Honigernte ein Glas Honig aus der Frankfurter Innenstadt an der Museumskasse erwerben. Im Herbst zum Ende des Bienenjahrs sind alle Honigliebhaber zu einem öffentlichen Honigfrühstück im Foyer des Museums eingeladen. Hierzu erschien 2009 und 2009 das Beejournal.

Führung auf dem Museumsdach
Führung auf dem Museumsdach

Begleitend zu dem Projekt bieten wir regelmäßig Führungen auf das Museumsdach an. Erwachsene können den in Form eines Lehrpfades gestalteten Bienenstand auf dem Dach des MMK einmal im Monat bei einer ca. einstündigen Führung besuchen. Die Führung dreht sich gleichermaßen um die konkrete imkerliche Praxis am Bienenstand, wie auch um die im Projekt angelegten Überschneidungen von tierwirtschaftlichen, gesellschaftsgestaltenden und künstlerischen Vorgehensweisen. Darüber hinaus werden weitere Projekte der Stadtimkerei / finger wie beispielsweise die Kooperation mit dem HOBOS-Projekt (HOney Bees Online Studies), die "beebox", "die Gemischte Bienengruppe", oder der "Honig von der Pumpstation" vorgestellt.

Kinderworkshop auf dem Museumsdach
Kinderworkshop auf dem Museumsdach

Großer Beliebtheit erfreuen sich inzwischen auch die Kinderworkshops, die zweimal im Monat stattfinden. Hier können Kinder im Alter von 5-10 Jahren unterschiedlichste Honige bei einem Frühstück probieren und Wesentliches zum Leben der Bienen in der Großstadt kennenlernen. Nach dem ca. einstündigen Frühstück und Tischgespräch geht es dann zum Bienenstand auf das Flachdach des Museums, um dort die Bienen zu beobachten und das Innenleben der Bienenstöcke zu entdecken. Dabei wird den Bienenvölkern etwas Wachs entnommen, das im Anschluss an den Ausflug zum Bienenstand von den Kindern zu Wachsmalstiften weiterverarbeitet wird. Mit der Bemalung eines Etiketts für ein Honigglas klingt der Workshop nach 3 Stunden aus

Wohin fliegen sie denn?

Von Ingeborg Wiensowski | Spiegel Online

Die Künstlergruppe "finger" betreibt eine Imkerei auf dem Dach des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt. Ihr Honig ist in jeder Hinsicht ein Erfolgsprodukt.
Eine Biene, die in einem Stadtcafe um die Torte herumschwirrt, als "Kunst" zu bezeichnen, würde wohl mit dem Tippen des Zeigefingers an die Stirn kommentiert werden. Aber zwölf Bienenstöcke mit jeweils 50.000 bis 60.000 Bienen können ein "Kunstprojekt" sein, jedenfalls dann, wenn sie auf dem Dach des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt/Main stehen.

Dort hat die Künstlergruppe "finger" ihr Bienenprojekt installiert, zu dem es Führungen gibt, Workshops für Kinder und Vorträge. Am vergangenen Sonntag kamen rund 400 Besucher ins Museum zum "Honigfrühstück" mit "Museumshonig", und die beiden "finger"-Künstler Andreas Wolf und Florian Haas führten die Besucher im Halbstundentakt zu den fleißigen Produzenten aufs Dach. Dort erklärt ein Lehrpfad auf den Bienenkästen die Stadtimkerei - vom Lebenszyklus der Bienen, über die Ordnung in ihren Völkern bis zum Bienensterben. Und über die Zusammenhänge von Ökonomie, Stadtklima, Imkerei, Kunst und Kultur erfährt der Besucher auch viel Interessantes.

Kein Sozialarbeiterersatz
Ihre Stadtimkerei betreiben "finger"-Künstler seit 2007. Damals wurden sie in Frankfurt zu einem Projekt eingeladen, das mitten im Bahnhofsviertel in unmittelbarer Nähe eines Übergangswohnheims und dem "Tagestreff" für Obdachlose stattfand. "Finger" stellte einen Bienenstand mit vier Völkern auf und bezog die beiden sozialen Einrichtungen in die Arbeit der "Imkerei" mit ein.

150 Kilo Honig produzierten die Bienen in der kurzen Ausstellungszeit von Mai bis August. Ein Kilo ergibt vier Gläser und deren Verkauf bringt 16 Euro ein - ein schönes finanzielles Resultat eines Kunstprojekts.

"Wir verstehen uns nicht als Sozialarbeiterersatz", sagt Wolf, aber als Künstler einen praktischen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft beizutragen, das sei ihr Interesse.

Seit sie 1998 "finger" gründeten, war der Ausgangspunkt für ihre Arbeit "das gemeinsame Interesse an Alltagskultur, Arbeit und an der Gestaltung von Gesellschaft". Dazu publizierten sie Beiträge in ihrer Zeitschrift "finger" oder schrieben den Wettbewerb "Evolutionäre Zellen" aus, in dem Gruppen, Vereine, Unternehmen und Personen ihr Engagement für neue Wege der Gesellschaftsgestaltung präsentierten.

Imkerboom in Frankfurt
Dann kam die Stadtimkerei. "Einen kleinen Imkerboom haben wir in Frankfurt ausgelöst", sagt Haas, und dabei habe man wahnsinnig viel gelernt. Weitergegeben wird das Wissen im Produktions-, Verkaufs-, Informations- und Schauraum des Bienenprojekts und vor Ort bei den Führungen zu den Bienenstöcken. Da kann man z.B. hören, dass es schon 2400 v. Chr. es eine organisierte Bienenhaltung gab oder dass Bienen und Honig lange vor Joseph Beuys "Honigpumpe" in der Kunst eine Rolle spielten.

"Das Nachdenken über Tiere und ihre Umwelt ist immer auch ein Nachdenken über den Menschen und dessen Kultur", sagt Wolf. Und da kommt man zu erstaunlichen Erkenntnissen.

Bienen fühlen sich neuerdings in den Städten wohler als auf dem Land, Stadthonig schmeckt besser als Sortenhonig, der durch die Monokultur auf dem Land so einseitig ist. "In der Stadt dagegen blüht immer irgendwas", sagt Haas. Auf dem Land komme eine Blütenvielfalt nur noch am Feldrand vor, "aber da blüht's nur einmal, dann ist das Wüste für die Bienen". Außerdem sei es in der Stadt wärmer, städtische Anlagen und Gärten werden regelmäßig bewässert und es gibt weder Pestizide noch Gentechnik. Stolz ist man bei "finger" darauf, dass der Museumshonig in einer Qualitätskontrolle gerade so gut abschneidet, dass er sich bald "Ökohonig" nennen darf.

Bis Oktober 2010 werden die Bienen auf dem Museumsdach bleiben, in diesem Jahr gibt es zwar noch mehrere Vorträge, aber nur noch eine Führung und einen Bienenworkshop für Kinder, weil die Bienen jetzt angriffslustig werden. Gestochen wurde übrigens bisher nur ein Fotograf, der seine Kamera direkt vor das Flugloch hielt.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,646053,00.html

Gib mir Honig, Mr. Bee!

von Thomas Wagner | 11. September 2008 | www.stylepark.com

Die Biene ist zweifellos ein besonderes Tier. In der Geschichte diente die Organisation des Bienenvolkes auf verschiedene Weise als Metapher oder Allegorie für die Struktur des menschlichen Zusammenlebens, für den Staat, die Monarchie, die Erlangung kollektiven Reichtums durch die Ausbeutung ganzer Herscharen armer Arbeiter, für eine kulturelle Ordnung und als Indikator für zivilisatorische Störungen. Und nicht zufällig fließen im Schlaraffenland Milch und Honig. Und überdies scheinen, glauben wir Lars Gustafssons Roman "Der Tod eines Bienenzüchters", Bienenvölker so unterschiedlich zu sein wie soziale Organismen: "Es gibt enorm persönliche Völker. Es gibt faule und fleißige, aggressive und sanfte Bienenvölker. Es gibt leichtsinnige und unsolide, und weiß der Teufel, ob es nicht Völker gibt, die Sinn für Humor haben, und andere, denen er fehlt."

Schön und gut. Aber was machen Bienen auf dem Dach eines Museums? Tatsache ist: Sie sind da. Seit Mai dieses Jahres hat die 1998 von Andreas Wolf und Florian Haas gegründete Künstlergruppe "finger" auf dem Dach des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK) einen "Produktionsstandort" ihrer "Stadtimkerei" eingerichtet. 650 000 Bienen sind dort stationiert, und sie schwärmen aus, um Pollen zu sammeln für den ersten Frankfurter Museumshonig. Am kommenden Sonntag, dem 14. September, um 11 Uhr kann der Honig nun erstmals im Foyer des MMK probiert und gekauft werden. Darüber hinaus begleiten wöchentliche Führungen aufs Dach des Museums, wo "finger" einen Lehrpfad zur Stadtimkerei eingerichtet hat, sowie Workshops für Kinder das auf drei Jahre angelegte Projekt.

Auf dem Dach des MMK sammeln die Bienen nun aber nicht nur Honig, sie senden auch jede Menge bedenkenswerte Botschaften aus. Nicht nur die ihres eigenen Bedrohtseins und die, dass ohne Honigbienen, die für die Bestäubung der meisten Pflanzenblüten unverzichtbar sind, die menschliche Nahrungsversorgung massiv gefährdet wäre. Zerbricht die Symbiose von Mensch und Biene, so scheint der Untergang nah. Doch nicht um solch apokalyptische Visionen ist es "finger" zu tun. Wolf und Haas fragen vielmehr danach, wie unter veränderten Rahmenbedingungen sozialökologische Nischen hergestellt werden können. Die Bienen liefern dafür ein mögliches Modell.

Denn inzwischen ist das weite Land für Bienen eher feindlich geworden. Wie Wanderarbeiter ziehen sie in die Stadt, weil die Artenvielfalt der Pflanzen, die sie dort finden können, grüner und der Einsatz von Pestiziden geringer ist. Allein schon diese Tatsache taugt dazu, prinzipiell über das Modell der Stadt nachzudenken, ist diese doch auch in sozialer und kultureller Hinsicht ein Terrain, auf dem sich viele Arten tummeln, deren urbanes Zusammenwirken die Grundlage für die Kultivierung eines veränderten Gesellschaftsmodells darstellen könnte. Die neue Ökonomie kennt eben viele Varianten. Und es ist allemal anregend genug, die menschliche Zivilisation, ihre Veränderung und ihre Störungen nicht allein aus der beschränkten Perspektive von Politikern, Stadt- oder Verkehrsplanern zu betrachten. Und so helfen Bienen auch hier.

Dies und vieles mehr - das Projekt produziert auch jede Menge geistigen Honig - ist nachzulesen in einem wunderbar gestalteten "Bee Journal Vol. 1", dessen Herausgeber, der Sache angemessen, Andreas Bee heißt, und in dem die seltsamsten, zum Nachdenken anregenden Aspekte der Beziehung von Mensch und Biene ebenso lehrreich wie unterhaltsam ausgebreitet werden. Das Spektrum reicht von Gedichten, Märchen, Songtexten und biblischen Geschichten bis zu den Eintragungen zu "Biene" im "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens". Gekrönt wird es von Marcel Beyers "Mein Bienenjahr lesen", einer bezaubernden Reflexion über Bienen, Schriftsteller und das Schreiben, über aromatische Wörter wie "Vorschwarm" und "Nachschwarm", "Weiselprobe" und "Drohnenschlacht", und darüber, wie sich Beobachtung und Imagination durchdringen.

Ist die Kunst auch kein Honigschlecken, so gilt doch auch hier Joseph Beuys' Satz: Gib mir Honig! In kulturellen Angelegenheiten empfiehlt es sich aber auch, die Ankündigung von Muhammad Ali, der damals noch Cassius Clay hieß, zu beherzigen, die er 1974, vor dem Kampf gegen George Foreman in Kinshasa, der als "Rumble in the Jungle" in die Annalen eingegangen ist, seinem Gegner entgegenschleuderte: "Float like a butterfly, sting like a bee."

http://www.stylepark.com/de/news/gib-mir-honig-mr-bee/283936

Museum für Moderne Kunst – kein Blütenkelch weit und breit

Von Christoph Schütte | FAZ

31. Juli 2008. Eigentlich möchte man beim Besuch im Museum dank der hehren Kunst die profane Welt da draußen vergessen, und sei es nur für einen Augenblick. Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst findet man sich stattdessen im engen Aufzug wieder, um aufs Dach hinaufzufahren. Dort steht man, ausstaffiert mit Hut und Schleier, mitten in der Stadtimkerei der Künstlergruppe "finger": Höhenangst und Angst vor Insekten inklusive.

Seltsam nur, dass dieser Ort zunächst so ganz anders aussieht als in den Kinderbüchern. Denn rundherum nur Blech, Beton und heiße Steine, nicht ein Blütenkelch in Sicht und das "Summ, summ, summ, Bienchen summ herum", das einem sogleich im Kopf herumschwirrt, kommt nicht aus den Bienenstöcken, sondern aus der Klimaanlage. Und doch wird man es fortan nicht mehr los, scheint es gar lauter und penetranter zu werden, als Andreas Wolf gleich zu Beginn der Führung auf marodierende Banden räuberischer Wespen verweist und die rund 650. 000 Bienen darüber hinaus angesichts der gewittrigen Stimmung als gereizt und aggressiv einschätzt. Na bravo.

Die Imkerei auf dem Museumsdach als soziale Plastik

Dem Besucher aber fällt - auch nicht eben Anlass zur Beruhigung - Jean Paul ein: "Wenn man beim Stiche der Biene oder des Schicksals nicht stillehält, so reißet der Stachel ab und bleibt zurück." Und also zieht er, dem Schicksal mutig trotzend, noch einmal ordentlich am Gazeschleier, ignoriert das Summsumm der zwölf emsigen Völker ringsum und nimmt sich Haas' gut gemeinten, von der Literatur beglaubigten Rat zu Herzen: "Wenn sie attackieren, bleiben Sie einfach ruhig." Nichts für Apiophobiker, jene Personen, die sich vor Bienen fürchten, ist also die Kunst der "finger"-Gründer Andreas Wolf und Florian Haas, die den Kunstkontext, sieht man vom performativen Charakter der Führung einmal ab, zunächst ganz nonchalant zu ignorieren scheint.

Sicher, spätestens seit Beuys' "Honigpumpe am Arbeitsplatz" hat die Biene einen festen Platz in der zeitgenössischen Kunst. Und bei genauerer Betrachtung ist die nun für drei Jahre auf dem Dach des MMK beheimatete Stadtimkerei als künstlerisches Modell in der Tat so etwas wie eine soziale Plastik. Dafür muss man nicht einmal die Überlegungen des großen Schamanen zur "sozialen Wärme" der Völker bemühen. Denn da kommt man bei allen Parallelen rasch ins Grübeln. Dass "große Teile eines Bienenvolks", wie der Bienensachverständige Wolf weiß, "die meiste Zeit einfach nur rumhängen", war Beuys womöglich einfach nicht geläufig. Doch das große "Drohnenschlachten" vor dem Winterschlaf, das Gemetzel an überflüssigen Männchen, kann einen für den Bienenstaat am Ende nicht recht erwärmen.

Zentrale Idee der "evolutionären Zelle"

In der Kunst von "finger" freilich geht es um weit mehr als um vergleichende Naturbetrachtung. Vielmehr interessiert sich das Frankfurter Künstlerduo vor allem für gesellschaftliche Prozesse, für die Verknüpfung von Alltag, Kunst und konkreter Utopie im künstlerischen Diskurs. Und darüber hinaus. Zwar drängen sich, während die beiden einen Vortrag wie aus dem Imkerseminar halten, von Tracht und Blütenpracht, von Drohnen, Königin und Milben, von Brut und Überwinterung, Bienen- und Imkersterben und einem "Altersheim für Bienen" als Alternative zum "Abschwefeln" überalterter Völker sprechen, wie von selbst so manche Parallelen zum höchst banalen Alltag auf.

Die Intention der Stadtimkerei ist freilich eine andere. Denn der Weg vom Alltag in die Kunst führt vom Dach des MMK in die Niederungen des Lebens zurück - zur für "finger" zentralen Idee der "evolutionären Zelle". Nicht nur, dass sich Haas und Wolf mit dem Verkauf des "Kunst-Honigs" gleichsam ihre eigene evolutionäre Zelle geschaffen haben, die ihnen ihre im Wortsinne brotlose Kunst ermöglicht. Ob "finger" mit dem Frankfurter Verein am Niederräder Ufer Arbeits- und Obdachlose und "ganz normale Leute" für die Imkerei begeistern und damit eine ökonomische Nische aufzeigen oder ob die beiden Künstler, wie jetzt in Neapel, einen Teil ihres Budgets für einen Imkerkurs für jedermann bereitstellen: Die Zelle wächst.

Stillhalten, damit der Stachel nicht reißt

Und trägt als Mikrokosmos Früchte weitab der Kunst. Dass ein künstlerisches Modell in die Wirklichkeit verschoben wird, ist die ebenso verblüffende wie bemerkenswerte Pointe dieser Utopie wie Pragmatismus gleichermaßen verpflichteten Kunst. Und selbst wenn jetzt die Bienen über einen herfielen, sich das Drohnenschlachten zutrüge oder gar morgen die Welt unterginge: Man hält still, dass der Stachel nicht reiße. Und gönnt sich, noch auf dem Dach des MMK, einen kleinen Finger voller Honig.

Zurück