Die gemischte Bienengruppe
Die "gemischte Bienengruppe" ist ein loser Verbund von Menschen in Frankfurt am Main, die im Rahmen unseres Projektes "Stadtimkerei finger" im Umgang mit Bienen trainiert werden. Anfängliche Überlegungen zur gemischten Bienengruppe gehen noch zurück auf unseren ersten experimentellen Bienenstand, den wir auf Einladung des Kurators Gerald Hintze († 2010) im Turm der Weissfrauen-Diakoniekirche (2007) in Verbindung mit dem Obdachlosenasyl Weser5 im Frankfurter Bahnhofsviertel einrichten konnten. Dort flogen unsere damals erst 4 Bienenvölker mit ca. 200.000 Bienen in etwa 10 Metern Höhe direkt über der Warteschlange der zur Armenspeisung im Diakoniezentrum anstehenden Bedürftigen ein und aus.
Während einige der Hoffnungen, die wir damals mit dem Projekt verbanden, sich an diesem Standort schon realisieren ließen (einen aktiven Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft zu entwickeln, anstoßen einer Diskussion zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten künstlerischer und nicht künstlerischer Arbeitsweisen, Honigabsatz und damit die Basisfinanzierung unserer Produktionsgemeinschaft, umfangreiche kunstdiskurs-interne und mediale öffentliche Wahrnehmung und Diskussion des Projektes, etc.) blieben andere Wünsche an das Projekt eher offen. So gelang es uns zum Beispiel nicht, Andere aus dem Umfeld der Sozialstation oder aus dem Kreis der Obdachlosen zur Mitarbeit an den Bienenvölkern zu bewegen. Das lag möglicherweise daran, dass der Ort als solcher doch nicht geeignet war. Da der Treppenaufgang zum Bienenstand von der Straße her nicht gleich einsehbar war, diente er vor allem auch nachts intensiv dem Drogenkonsum, was dazu führte, dass wir nahezu regelmäßig über kleinere und größere Blutlachen vom Vorabend stiegen und dabei höllisch aufpassen mussten, nicht in eine der offen liegen gelassenen Kanülen zu treten. Vor allem aber ist das Obdachlosenasyl der WESER5 eben ein Ort für Notfälle, und es wurde uns schnell klar, dass die Leute, die in der Sozialstation WESER5 strandeten, existenziellere Sorgen hatten als sich um Kunst oder um Bienen zu kümmern.
Da Renovierungsarbeiten für den baufälligen Turm anstanden, war von vornherein klar, dass wir die Bienen im Folgejahr wieder absiedeln mussten. Glücklicherweise waren 2008 mit dem Dach des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt und einem ehemaligen Obdachlosen-Campingplatz am Mainufer der vom Frankfurter Verein für Soziale Heimstätten (Zusammenarbeit bis 2010) betrieben wird, gleich zwei neue Standorte schnell gefunden. Während wir auf dem Museumsdach eine Art "Lehrpfad" zu imkerlichen, gesellschaftsgestaltenden und künstlerischen Aspekten unserer Vorgehensweise betreiben, den wir im Rahmen von Führungen, Workshops und einem jährlichen Honigfrühstück dem Publikum zugänglich machen, laden wir am Niederräder Ufer im Rahmen der "Gemischten Bienengruppe" Interessierte dazu ein, gemeinsam mit uns, die Grundzüge der Imkerei zu erlernen.Dieses Angebot richtet sich vor allem direkt an Teilnehmer der Programme des Frankfurter Vereins, bei denen es sich überwiegend um Menschen handelt, die sich drogenabhängig, psychisch angeschlagen, seit langem arbeitslos oder von allem etwas, in eher schwierigen Lebenssituationen befinden. Für diesen Personenkreis bietet die gemischte Bienengruppe mit allen anstehenden imkerlichen Arbeitsabläufen vielfältige Möglichkeiten, sich Arbeitsprozessen langsam wieder anzunähern, den Tagesablauf zu planen und zu organisieren, Verantwortung für ein Bienenvolk zu übernehmen und nicht zuletzt die Möglichkeit, sich, mit der Zeit, ein mikroökonomisches Modell anzueignen, das es ihnen ermöglicht, sich einen dauerhaften Nebenerwerb aufzubauen.
"Gemischte Bienengruppe" haben wir das Projekt aber genannt, weil es uns von Anfang an wichtig war, diese Personengruppe, sowohl mit Interessierten aus der Niederräder Nachbarschaft, wie auch mit Interessierten, die von der Stadtimkerei finger vom Hörensagen, aus den Medien oder im Rahmen von Kunstausstellungen gehört hatten, zu mischen. Und erfreulicherweise ließ sich diese Idee auch in die Tat umsetzen, so dass sich heute regelmäßig eine Gruppe von etwa 10 Personen trifft, die gemeinsam die 10 Bienenvölker auf dem NU2-Gelände betreuen. Dabei unterscheiden sich sicher die Interessen der einzelnen Teilnehmer und was für den einen eher eine tragfähige zukünftige finanzielle Perspektive ermöglichen soll, bedeutet für den anderen eher das nahezu meditative Abschalten von einer rein an geldwerten Arbeitsprozessen ausgerichteten Arbeitsweise im Rahmen einer Tätigkeit bei einer der Frankfurter Banken. Für alle Teilnehmenden aber, uns beide eingeschlossen, ergibt die Arbeit mit den Bienen, die in der Fachliteratur auch gerne als die Poesie der Landwirtschaft beschrieben wird, ein neues Verhältnis zur Arbeit. Die dabei entstehenden Interaktionen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen mit wechselseitigen Lernprozessen sind für uns alle eine große Bereicherung.
Dabei unterscheiden sich durchaus auch die Modelle, die aus dem Projekt heraus zur weiteren Umsetzung gebracht werden: Zum Beispiel der Ansatz von drei Mitarbeitern, die mit der trockenen Feststellung, sie seien schließlich noch nie gleichzeitig rückfällig gewesen, gemeinsam den Aufbau eines größeren Bienenstandes planten. (Was schlussendlich und glücklicherweise doch nicht umgesetzt wurde.
Erfolgreicher war der Aufbau eines Bienenstandes von Burkhard Haus zusammen mit Klaus Pinther mit 4 Bienenvölkern auf dem Dach eines Frankfurter Hotels, der es ermöglicht, dass die Gäste des Hauses seit 2010 morgens zum Frühstück ihren "eigenen" Honig essen können. Oder die Variante von Thilo Fratzel, der über den Frankfurter Verein zum Projekt kam und mittlerweile in einem ehemaligen Schwimmbad eine kontinuierlich wachsende Imkerei aufbaut. Ein weiterer Bienenstand von Olaf Peusser hat sich im Kirchturm der Frankfurter Wartburggemeinde angesiedelt. Der Senior der gemischten Bienengruppe, der Rentner Melchior, imkert inzwischen mit 4 Bienenvölkern in seinem Schrebergarten.
2009 wurde, der in einem alten Campingwagen, provisorisch eingerichtete Bienenstand leider ein Opfer von Brandstiftung. Aufgrund von unvereinbaren Vorstellungen mussten wir uns 2010 leider vom Frankfurter Verein für soziale Heimstätten trennen und führen jetzt die gemischte Bienengruppe mit wachsenden Erfolg auf dem alten Flugplatz in Bonames / Frankfurt weiter. Dies in Zusammenarbeit mit den Frankfurter Werkstätten und dem Frankfurter Umweltamt. Ab 2012 werden regelmäßig Bienenworkshops im grünen Klassenzimmer des Umweltamts stattfinden.